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Sieglinde Schneider, Gabriele ten Hövel: Vorüber ist nicht vorbei

Geschichten und Reflexionen zur Aufstellung in der Einzelarbeit

Wenn Kund*innen mit ihren Themenstellungen und Herausforderungen im Hier und Heute stagnieren, weitet Sieglinde Schneider den Kontext von der persönlichen Ebene auf die systemisch-familiäre. Mit ihrem Buch gibt sie dabei einen horizonterweiternden Ein- und Weitblick in die Familien-Aufstellungsarbeit mit Figuren. Dabei fächert sie die Themen weit auf – Symptome, Traumata, die Beziehungen zu den Eltern, Paarthemen, Erben, Schuld und Ohnmacht… etc. – werden in 60 Fallgeschichten beleuchtet. Ein Ablaufschema sowie wichtige Grundprinzipien der Aufstellungsarbeit werden ebenso beschrieben wie deren Wirkweise in vielen Reflexionen beleuchtet.

Auf Basis der Grundannahme, dass Vergangenes aus der Familiengeschichte bewusst und unbewusst weiter wirkt – vorüber also nicht vorbei ist –, sind Problemstellungen von Kund*innen möglicherweise in nichtgelösten/ tabuisierten/ ausgeschlossenen Themen aus der Herkunftsfamilie zu verorten. Ausgehend vom Anliegen der Kund*innen lädt Sieglinde Schneider ein, das unbewusste innere Bild der Familie mit Figuren nach außen zu bringen. Ihr Handwerkszeug sind dabei genaue Beobachtungen, geschichtlich soziologisches Wissen, Mut zur Intuition, viel Erfahrung, ungewöhnliche Fragen, Kreativität, Humor und Beharrlichkeit. All dies wird, in Hypothesen formuliert, den Kund*innen wieder zur Verfügung gestellt.

Sieglinde Schneider ist dabei sehr geprägt von Bert Hellinger und der systemischen Haltung des „Nicht Wissens“: „Wir wissen nicht, was dem Klienten hilft. Wir geben nur den Anstoß (…). Und zu glauben, wir wüssten die Lösung, wäre vermessen“ (S. 21). Sieglinde Schneider versteht sich als Lotsin im Such-Prozess, um festgefahrene innere Bilder in Bewegung zu bringen, hin zu einer hilfreicheren Neubewertung.

Interessant und spannend ist die Anlage des Buches: Gabriel ten Hövel schreibt die Therapie-Geschichten von Sieglinde Schneider auf. In gut kenntlich gemachten Reflexionsinterviews wird eine Kybernetik der 3. Ordnung eingeführt, die mich als Leserin einlädt, über die Beobachtung der Beobachtung nachzudenken. Nach 240 Seiten Fortbildung bei Sieglinde Schneider kommt mir dabei die Frage: Was wird nicht benannt, was wird ausgespart? Was macht es mir schwer, die Inhalte leicht zu (über)nehmen? Dazu zwei Anfragen von mir:

  1. Die 60 Fallgeschichten sind eine komprimierte Essenz langjähriger Therapie-, Beratungs- und Aufstellungserfahrung, und sicherlich war nicht jede Thematik im Suchprozess so erfolgreich, wie in den ausgewählt beschriebenen. Nun ist es nicht Sinn und Zweck eines Buches, die weniger erfolgreichen Fallgeschichten oder diejenigen, bei denen der Suchprozess zu mehr Verwirrung und Leid der Kund*innen beigetragen hat, vorzustellen. Für die Einordung wäre eine Klärung dieses Fokus aus meiner Sicht jedoch hilfreich gewesen.
  2. Gabriele ten Hövel nimmt in ihren Nachfragen auch die Kritik an der Lehre Bert Hellingers auf, Sieglinde Schneider antwortet darauf implizit, indem sie ihre Vorgehensweise und Haltung beschreibt. In ihrem Aufstellungsformat – Figuren statt Stellvertreter – wird deutlich und in den Reflexionen kann herausgelesen werden, worin sie sich von Hellinger abgrenzt. Allerdings betont sie in ihrer Sicht auf die Familiensysteme: „Es ist ein Unterschied, ob es Geheimnisse gibt, Menschen ausradiert werden, Unrecht ungenannt bleibt, Kinder untergeschoben sind, es Tabus gibt und so weiter, oder ob offen über diese Dinge gesprochen wird – nicht nur in Anekdoten oder geheimnisumwitterten Anmerkungen, sondern einfach so, wie es war. Es geht darum, dass wir anerkennen können, was ist, um einen Buchtitel von Bert Hellinger zu zitieren“ (S. 239).

Von daher hätte mir, als eine nachfolgende Generation im Systemischen System eine explizite Stellungnahme und Auseinandersetzung mit den kritischen Anteilen Hellingers es leichter gemacht, die inspirierenden und wirklich hilfreichen Inhalte des Buches für meine Arbeit mit den Kund*innen in der Mehrgenerationenperspektive zu nehmen.

Im Fazit ein – mit kleinen Anmerkungen – empfehlenswertes Buch für alle, die im Suchprozess mit ihren Kund*innen auch im mehrgenerationalen Feld unterwegs sind.

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